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„Doppelgänger“ – Arbeitnehmer kann gleichzeitig freier Mitarbeiter seines Arbeitgebers sein

I. Worum geht es?

Seit jeher bereitet die Abgrenzung von selbständiger und abhängiger Beschäftigung große Probleme. Oft wissen selbst die betroffenen Vertragsparteien nicht, wie ihre Vertragsbeziehung rechtlich einzuordnen ist. Die Rechtsprechung nähert sich dem Problem mittels eines Kanons diverser Kriterien, welcher – trotz aller Versuche der Abstrahierung – einer allgemeingültigen Formel nicht zugänglich ist. Letztlich läuft jede Bemühung einer trennscharfen Abgrenzung auf eine individuelle Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls hinaus. Es gilt, die eine entscheidende Frage zu beantworten: Besteht eine persönliche Abhängigkeit – ja oder nein? An dieser Herangehensweise hat sich auch durch die Normierung der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien in § 611a Abs. 1 BGB nichts geändert, der seit dem 1. April 2017 in Kraft ist. Dies zeigt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 27. Juni 2017 (9 AZR 851/16). Darüber hinaus hat das BAG in konsequenter Fortschreibung der von ihm entwickelten Maßstäbe festgestellt, dass sogar eine „Zwitterbetätigung" zwischen denselben Parteien möglich ist, wenn die Frage nach der persönlichen Abhängigkeit in zwei nebeneinander bestehenden Rechtsbeziehungen unterschiedlich beantwortet werden muss. 

II. Die Entscheidung​

In dem der Entscheidung des BAG zugrundeliegenden Sachverhalt war eine Musikschullehrerin – die Klägerin – für denselben Schulträger sowohl aufgrund eines Dienst- bzw. Honorarvertrags, als auch im Rahmen eines Teilzeitarbeitsverhältnisses als Musiklehrerin tätig. Der Honorarvertrag war als Rahmenvertrag ausgestaltet. Zur Vollziehung bedurfte es der Einzelbeauftragung in Bezug auf die jeweiligen Unterrichtsstunden. Sie beinhalteten neben der Unterrichtsform auch Angaben über Zeit, Ort und Inhalt der Leistungserbringung, mit Ausnahme von Einzelunterricht. Im Übrigen war die Klägerin bei der Gestaltung und Durchführung des Unterrichts frei und an Weisungen der Musikschule nicht gebunden. Lediglich hinsichtlich der einschlägigen Lehrpläne bestand eine vertragliche Vereinbarung, dass diese dem Unterricht zugrunde zu legen sind.

Das BAG hat zur Beurteilung der Frage, ob der gesamte Umfang der Tätigkeit der Klägerin im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbracht wird oder ob ein Nebeneinander von Dienst- und Arbeitsverhältnis vorliegt, die rechtlichen Grundsätze zur Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von einer selbstständigen Tätigkeit herangezogen. Danach ist zur Feststellung des maßgeblichen Grads der persönlichen Abhängigkeit insbesondere auf die Weisungsgebundenheit des Dienstleistenden abzustellen. Denn Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das maßgebende Direktionsrecht eines Arbeitgebers kann sich auf Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit beziehen, mit der Folge, dass ein Arbeitnehmer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Da hierbei immer auch die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit berücksichtigt werden muss, ist die Bestimmung der Rechtsnatur eines Vertragsverhältnisses nur im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls möglich. Daran ändert sich auch nichts durch die neu eingefügte Vorschrift des § 611a BGB, da diese lediglich diese Rechtsgrundsätze widerspiegelt. Danach erachtete es das BAG – neben einer Vielzahl weiterer Einzelkriterien – als ausschlaggebend, dass der Honorarvertrag der Musikschule keinerlei einseitige Weisungsrechte einräumte. Bestehende Einschränkungen ergaben sich aus einvernehmlichen Vereinbarungen, welche – so das BAG – Ausdruck der Vertragsfreiheit seien und keine unilateralen Fremdbestimmungen darstellten. Folgerichtig kam das BAG zu dem Ergebnis, dass die Klägerin im Rahmen des Honorarvertrags als freie Mitarbeiterin für die Musikschule tätig ist. Dem stehe nicht entgegen, dass die Klägerin daneben auch auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags als Musiklehrerin bei derselben Musikschule abhängig beschäftigt sei. Die Vertragsfreiheit gebiete, dass es in der Rechtsmacht der Parteien stehe, neben einem Arbeitsverhältnis ein Dienstverhältnis begründen zu können. Dies könne allerdings nur dann gelten, wenn es sich tatsächlich um zwei unterschiedliche Rechtsverhältnisse handele. Das sei dann der Fall, wenn sich das Weisungsrecht des Arbeitgebers nicht auf die Tätigkeiten im Rahmen des Dienstvertrages erstrecke, sondern klar auf die geschuldete arbeitsvertragliche Leistung beschränkt sei. 

III. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des BAG reiht sich ein in eine Vielzahl höchstrichterlicher Entscheidungen, welche die Frage nach der Rechtsnatur eines Beschäftigungsverhältnisses anhand einer umfassenden Abwägung im Einzelfall beantworten. Daran hat sich auch durch die Einführung des § 611a BGB nichts geändert. Der Wunsch nach mehr Rechtssicherheit bleibt vorerst unerfüllt, was sicherlich der Komplexität der Thematik geschuldet ist. Diese dürfte im Zeitalter der Digitalisierung eher noch zunehmen. Darüber hinaus hat das BAG klargestellt, dass auch ein Nebeneinander von Arbeits- und freiem Dienstverhältnis möglich ist, solange die Tätigkeiten in ihrer jeweiligen Spezifik klar voneinander abgegrenzt sind. Dies ist schlussendlich nur das folgerichtige Ergebnis der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Besonderes Augenmerk ist mithin – wie bei jedem freien Mitarbeiterverhältnis – sowohl auf die Ausgestaltung, insbesondere im Hinblick auf etwaige Weisungsrechte, als auch im Hinblick auf die tatsächliche Durchführung zu richten.

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