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#metoo Anonymität und Vertraulichkeit – Eine Gefahr für die Kündigungserklärungsfrist?

I. Sachverhalt

Die Beteiligten – Arbeitgeber und Betriebsrat – streiten um die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung. Hintergrund ist die Übersendung pornografischer Videoclips durch den Betriebsratsvorsitzenden an eine Arbeits- und Betriebsratskollegin.

Beim Arbeitgeber – einem Unternehmen mit rund 200 Arbeitnehmern – wurde im Jahr 2016 eine Konzernbetriebsvereinbarung zum Schutz der Beschäftigten vor Diskriminierung geschlossen. Diese sieht u.a. vor, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich einer unerwünschten, belästigenden oder diskriminierenden Situation ausgesetzt sehen, vertraulich an verschiedene Stellen oder Personen wenden können, darunter eine beliebige Vertrauensperson im Unternehmen, eine externe Mitarbeiterberatung oder auch die Personalabteilung. Weiter sieht die Betriebsvereinbarung vor, dass – egal, an welche Stelle sich die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter wendet – alle genannten Stellen oder Personen zur Verschwiegenheit über die ihnen offenbarten Sachverhalte verpflichtet sind, solange und soweit sie nicht durch die Mitarbeiterin bzw. den Mitarbeiter selbst entbunden werden.
Am 23. November 2016 berichtete eine Mitarbeiterin ihrem Vorgesetzten und einer zur Kündigung berechtigten Prokuristin von pornografischen Videos und Bildern, die sie unaufgefordert und unerwünscht vom Betriebsratsvorsitzenden am Abend zuvor per WhatsApp erhalten hatte. Die Dateien enthielten keinen Bezug zu der betroffenen Mitarbeiterin als solche, sondern zeigten fremde Personen. Der Betriebsratsvorsitzende hatte bereits zuvor mehrmals Nachrichten mit sexualisiertem Inhalt an die betroffene Mitarbeiterin geschickt, die diese jedoch stets ignoriert und gelöscht hatte. Nachdem die betroffene Mitarbeiterin zunächst um Vertraulichkeit gebeten hatte, entschloss sie sich am 15. Dezember 2016 dazu, den Vorfall offiziell untersuchen zu lassen. Am 16. Dezember 2016 wurde der Betriebsratsvorsitzende zu den Vorwürfen angehört und anschließend von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. Der am 19. Dezember 2016 gestellte Antrag des Arbeitgebers beim beteiligten Betriebsrat auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung lehnte dieser unter Verweis auf die Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB ab.

Der daraufhin gestellte Zustimmungsersetzungsantrag war zunächst vor dem Arbeitsgericht erfolgreich. Die hiergegen vor dem LAG Mecklenburg-Vorpommern eingelegte Beschwerde des Betriebsrates hatte Erfolg (LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 16. Oktober 2018 – 5 TaBV 7/18).

II. Die Entscheidung des LAG Mecklenburg-Vorpommern

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern gab den Beschwerden des Betriebsrats und des Betriebsratsvorsitzenden statt. Nach Auffassung des Gerichts hatte der Arbeitgeber die Frist des § 626 Abs. 2 BGB, wonach eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen kann, nicht gewahrt. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Nach Auffassung des LAG Mecklenburg-Vorpommern hatte der Arbeitgeber in Person der Prokuristin jedoch bereits am 23. November 2016 vollständige Kenntnis von dem Sachverhalt. Dass der Arbeitgeber davon ausging, aufgrund der Grundrechte der betroffenen Mitarbeiterin sei ein Agieren seinerseits nicht möglich, sofern die betroffene Mitarbeiterin mit einem Bekanntwerden der Vorwürfe nicht einverstanden sei, ändere hieran nichts. Auch die Regelung der Konzernbetriebsvereinbarung, die dem Betroffenen Vertraulichkeit zusichere, könne die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht hemmen. Bei der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB handele es sich um zwingendes Recht, das nicht durch Absprachen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abgeändert werden könne.

Gegen die Entscheidung wurde Rechtsbeschwerde eingelegt unter dem Aktenzeichen 2 ABR 2/19.

III. Praxishinweise

Die im Rahmen der außerordentlichen Kündigung einzuhaltende Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB stellt den Arbeitgeber immer wieder vor große Herausforderungen. Auf der einen Seite muss er die außerordentliche (Verdachts-)Kündigung innerhalb von zwei Wochen ab (vollständiger) Kenntnis der kündigungsrelevanten Tatsachen erklären. Besteht ein Betriebsrat, muss er diesen ordnungsgemäß anhören, was ebenfalls innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu erfolgen hat. Auf der anderen Seite ist der Arbeitgeber gehalten, zunächst den Sachverhalt umfassend zu ermitteln und hierbei ggfs. neben (bei Verdachtskündigung zwingend!) der Anhörung des Arbeitnehmers weitere, teils zeitintensive Aufklärungsmaßnahmen (beispielsweise in Form von Zeugenbefragungen) durchzuführen. Je nach Umfang der erforderlichen Sachverhaltsaufklärung bringt dies den Arbeitgeber regelmäßig in zeitliche Bedrängnis. Er befindet sich in der misslichen Situation, entweder dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, nicht ausreichend ermittelt zu haben oder aber die Zweiwochenfrist aufgrund zu umfangreicher Ausklärungsversuche versäumt zu haben.

Gerade in Sachverhaltskonstellationen, in denen der Vorwurf strafbarer Handlungen, insbesondere Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, im Raum stehen, ist die Zusicherung von Vertraulichkeit und Anonymität häufig nicht nur Anliegen der Betroffenen, sondern vielmehr Voraussetzung dafür, dass sie sich überhaupt jemandem auf Seiten des Arbeitgebers anvertrauen. Es handelt sich um sensible und schambesetzte Themen, die regelmäßig große Beklemmtheit bei den Betroffenen hervorrufen. Zwingende Voraussetzung, damit der Arbeitgeber derartige Sachverhalte überhaupt aufklären kann, ist daher die Schaffung einer Vertrauensbasis. Letzteres gelingt aber regelmäßig nur über die Zusicherung von Vertraulichkeit und Anonymität. Aus diesem Grunde sehen Betriebsvereinbarungen oder auch interne Compliance-Richtlinien häufig vor, dass die seitens der Betroffenen geschilderten Sachverhalte vertraulich zu behandeln sind und hierauf ohne die ausdrückliche Zustimmung des/der Betroffenen keine arbeitgeberseitigen Maßnahmen – auch nicht in Form weiterer Aufklärungsbemühungen – fußen dürfen. Dass solche Zusicherungen aber auch ein gewisses Risikopotential in sich tragen, zeigt nunmehr anschaulich die Entscheidung des LAG Mecklenburg-Vorpommern.

Auf die Zusicherung von Anonymität und Vertraulichkeit für die Zwecke einer erfolgreichen Aufklärung der Sachverhalte muss gleichwohl nicht verzichtet werden. Insoweit ist jedoch – und dies schon bei der Gestaltung entsprechender Vereinbarungen und zur Vermeidung von Missverständnissen – darauf zu achten, an wen sich die Betroffenen vertraulich unter Zusicherung von Anonymität wenden können. Denn die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt erst, wenn eine zur Kündigung berechtigte Person von dem Sachverhalt Kenntnis erlangt. Die Erfahrung zeigt, dass sich insbesondere externe Anlaufstellen hierfür sehr gut eignen. Dies, da zum einen sichergestellt werden kann, dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt bleibt. Zum anderen, da Betroffene ohnehin häufig unbefangener mit externen Dritten als mit Kollegen und Mitarbeitern ihres Arbeitgebers über ihre Erlebnisse sprechen.

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