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Ohrfeige aus Karlsruhe – BVerfG hebt Drei-Jahres-Rechtsprechung des BAG auf

Die Befristung von Arbeitsverhältnissen spielt in der betrieblichen Praxis eine große Rolle. Arbeitsverhältnisse können mit oder ohne Sachgrund befristet werden. Oft entsteht aber Streit über das Vorliegen eines Sachgrundes. In der Praxis greift man daher gerne auf die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung zurück. Diese unterliegt jedoch zahlreichen Einschränkungen, vor allem um eine Aneinanderreihung mehrerer Befristungen (sog. „Kettenbefristung") zu vermeiden. Eine dieser Einschränkungen ist das sogenannte „Zuvor-Beschäftigungs-Verbot".
Das „Zuvor-Beschäftigungs-Verbot" besagt, dass eine sachgrundlose Befristung nur zulässig ist, wenn mit demselben Arbeitgeber „bereits zuvor" kein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Unklar war, ob „bereits zuvor" als „jemals zuvor" oder als „unmittelbar bevor" zu verstehen ist. Das Bundesarbeitsgerichts („BAG") hatte lange eine Bewertung als „jemals zuvor" vorgenommen. Mit der Entscheidung vom 6. April 2011 (7 AZR 716/09) vollzog es aber eine Kehrtwende. Danach sollte keine „Zuvor-Beschäftigung" vorliegen, wenn zwischen zwei Arbeitsverhältnissen eine Unterbrechung von mehr als drei Jahren gegeben war. Diese in der betrieblichen Praxis äußerst begrüßenswerte Entscheidung wurde indes in der juristischen Literatur und der Instanzrechtsprechung heftig kritisiert; gleich sechs Landesarbeitsgerichte positionierten sich gegen die Entscheidung. Nun hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden.

I. Die Entscheidung des BVerfG vom 6. Juni 2018​

Das BVerfG erteilte dem Drei-Jahres-Zeitraum eine klare Absage. Es prüfte zum einen, ob das Zuvor-Beschäftigung-Verbot mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist, und zum anderen die „Drei-Jahres-Rechtsprechung" des BAG.

Das Zuvor-Beschäftigung-Verbot ist nach Auffassung des BVerfG mit dem Grundgesetz vereinbar. Danach sei nicht zu beanstanden, dass einige Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch die Regelung Nachteile bei der Auswahl einer Stellenbesetzung und Einschränkungen bei der Gestaltung ihrer Arbeitsverträge erführen. Die Gefahr von Kettenbefristungen und das Ziel, unbefristete Arbeitsverhältnisses zu erhalten, wögen diese Nachteile – so das BVerfG – auf. Es gebe aber Fälle, in denen nach Ansicht des BVerfG keine Kettenbefristungen zu befürchten seien. Hier müsse das Verbot eingeschränkt werden. Das BVerfG hält das Verbot insoweit für unzumutbar, wenn eine Vorbeschäftigung „sehr lang" zurückliegt, „ganz anders geartet" oder von „sehr kurzer Dauer" war. Als Beispiel nennt es geringfügige Nebenbeschäftigungen während der Schul-, Studien- oder Familienzeit, Werksstudierende, studentische Mitarbeiter im Rahmen ihrer beruflichen Qualifizierung sowie erzwungene oder freiwillige Unterbrechungen der Erwerbsbiografie, die mit einer beruflichen Neuorientierung oder einer Aus- und Weiterbildung einhergingen.

Zum „Drei-Jahres-Zeitraum" stellte das BVerfG fest, dass das BAG damit seine Kompetenzen als Gericht überschritten habe. Es müsse als Gericht die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren. Nur der Gesetzgeber, nicht aber das Gericht sei durch Wahlen legitimiert. Die Gesetzesmaterialien belegen nach Ansicht des BVerfG zum Vorbeschäftigungsverbot eindeutig die gesetzgeberische Grundentscheidung, sachgrundlose Befristungen auf ein erstmaliges Arbeitsverhältnis zu beschränken, und zwar unabhängig von Zeitmomenten. Der „Drei-Jahres-Zeitraum" sei damit nicht zu vereinbaren.

II. Bewertung der Entscheidung

Auch wenn die Begrenzung des „Zuvor-Zeitraums" auf drei Jahre in der betrieblichen Praxis – zumindest vorübergehend – eine gewisse Rechtssicherheit gebracht hat, hat das BVerfG diese Rechtsprechung zurecht als Überschreitung der richterlichen Kompetenzen angesehen. Rechtsklarheit wird mit der Entscheidung des BVerfG aber leider nicht geschaffen. Sicher ist lediglich, dass der „Drei-Jahres-Zeitraum" kein geeignetes Kriterium mehr ist. Das BVerfG stellt aber ebenso fest, dass das Vorbeschäftigungsverbot „zu weit geraten" ist. Die von ihm dargestellten Einschränkungen sind indes so vage, dass die betriebliche Praxis daraus kaum verlässliche Handlungsanweisungen ableiten kann. Das BVerfG gibt mit „sehr lang zurückliegt", „ganz anders geartet" sowie „von sehr kurzer Dauer" vielmehr mehrere Begriffe vor, die wiederum (unklaren) Wertungen unterliegen. Erkennen lässt sich nur, dass insbesondere das Abstellen auf die besondere Art der Vorbeschäftigung von Bedeutung sein wird – etwa vom Nebenjob als studentische Produktionsaushilfe zum Einstieg als graduierten Controlling-Berufsanfänger. Ist mit der neuen Funktion ein erheblicher Qualifikationsaufstieg oder eine gänzlich andere berufliche Ausrichtung verbunden, wird eine Vorbeschäftigung mithin im Zweifel nicht schädlich sein.

III. Auswirkungen auf die Praxis

Der „Drei-Jahres-Zeitraum" ist „vom Tisch". Ob die Rechtsprechung bei Befristungen, die in der Zwischenzeit auf der Grundlage der Rechtsprechung des BAG abgeschlossen wurden, Vertrauensschutz gewährt, ist zumindest fraglich. Jedenfalls steht zu erwarten, dass nunmehr viele Arbeitnehmer Entfristungsklagen einlegen werden.

Für künftige Vereinbarungen wird sich die Praxis aufgrund der fehlenden Trennschärfe der Ausnahmen des BVerfG wieder auf das „jemals zuvor" zurückziehen. Gerade bei dem Bedürfnis nach stark standardisierten Prozessen kann auch nur diese Handhabung empfohlen werden, weil nur sie Bewertungsfehler sicher ausschließt.

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