I. Der Hintergrund

Mittlerweile liegt der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie für ein sog. drittes Bürokratieentlastungsgesetz vor. Aus arbeitsrechtlicher Sicht besonders interessant ist die geplante Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung). Eingeführt werden soll ein elektronisches Meldeverfahren, welches den klassischen „gelben Schein" künftig weitgehend ersetzen soll. Statt der Übergabe der AU-Bescheinigung durch den Arbeitnehmer sollen die Krankenkassen den Arbeitgeber auf Abruf elektronisch über Beginn und Dauer der Arbeitsunfähigkeit seines gesetzlich versicherten Arbeitnehmers sowie über den Zeitpunkt des Auslaufens der Entgeltfortzahlung informieren. Die jährlich knapp 80 Millionen AU-Bescheinigungen in Papierform könnten damit in Zukunft hinfällig werden. Auch die in der Praxis immer wieder anzufindenden Konflikte über das rechtzeitige Einreichen der AU-Bescheinigung dürften sich mit der Neuregelung weitestgehend erledigen. Gleichzeitig ist in der elektronischen Mitteilung festzuhalten, ob es sich um eine Erst- oder Folgemeldung handelt. Auch dies ist aktuell (noch) ein häufiger Streitpunkt. Für die Wirtschaft soll sich der Bürokratieaufwand damit um bis zu 549 Millionen Euro verringern.

II. Die Neuregelung im Überblick

Umgesetzt werden soll die geplante Änderung mit der Einfügung eines neuen Absatzes 1a in § 5 EFZG. Danach gelten die Verpflichtungen nach § 5 Absatz 1 Satz 2 bis 5 EFZG nicht für Arbeitnehmer, die Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind. Diese müssen lediglich die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer feststellen lassen, wobei die bekannten Zeitpunkte (insb. die Nachweispflicht bei einer Arbeitsunfähigkeit über drei Kalendertage hinaus, sofern der Arbeitgeber nicht einen früheren Nachweis verlangt) bestehen bleiben. Weiterhin trifft den Arbeitnehmer selbstverständlich auch seine Meldepflicht gegenüber dem Arbeitgeber nach § 5 Absatz Satz 1 EFZG.

Gänzlich ohne eine AU-Bescheinigung in Papierform kommt aber auch die Neuregelung nicht aus. Statt wie bisher drei Ausfertigungen, erhält der Arbeitnehmer aber lediglich noch eine, die nach der Begründung des Referentenentwurfs als Beweismittel dienen soll und insbesondere in Störfällen (etwa einer fehlgeschlagenen Übermittlung im elektronischen Verfahren) das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung der Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG außerprozessual und prozessual nachweisen kann.

Ausdrücklich ausgenommen werden geringfügige Beschäftigungen in Privathaushalten und solche Ärzte, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. Nicht explizit erwähnt wird auch die Herausnahme privater Krankenversicherungen. Die Verpflichtung soll aber zunächst mit einer Neuregelung des § 109 SGB IV nur die gesetzlichen Krankenversicherungen treffen. Ob und inwieweit zu einem späteren Zeitpunkt auch die privaten Krankenversicherungen von diesem System Gebrauch machen werden, ist aktuell noch unklar. Jedenfalls in der Anfangsphase werden sich die Arbeitgeber noch darauf einstellen müssen, nicht nur auf elektronischem Wege, sondern auch wie gehabt die AU-Bescheinigungen in Papierform in Empfang nehmen zu müssen. 

III. Auswirkungen auf die Krankschreibung per WhatsApp?

 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Umstellung auf eine elektronische Übermittlung auch Folgen für das neue Geschäftsmodell der Krankschreibung über WhatsApp hat. Die generelle Thematik findet nach wie vor große Beachtung und das Hamburger Start-Up AU-Schein ist mittlerweile dazu übergegangen, AU-Bescheinigungen per Mausklick nicht nur für Erkältungen, sondern auch für Regelschmerzen anzubieten. Wir hatten bereits im Juni ausführlich auf unserem Blog berichtet, dass erhebliche rechtliche Zweifel an diesem Modell bestehen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf den nur eingeschränkten Beweiswert einer so erlangten AU-Bescheinigung, sodass Arbeitgeber grundsätzlich über gute Chancen verfügen, dagegen vorzugehen.

Dies könnte sich mit der Neuregelung möglicherweise ändern. Aktuell wählt der Arbeitnehmer online Krankheitssymptome aus und erhält wenige Minuten später ein Foto der AU-Bescheinigung per WhatsApp und in den Folgetagen das Original per Post. Für den Arbeitgeber ist damit zumindest ersichtlich, welcher Arzt an welchem Ort die AU-Bescheinigung ausgestellt hat. Es wird ihn daher regelmäßig stutzig machen, wenn der ausstellende Arzt in Schleswig-Holstein (dort sitzen die mit AU-Schein kooperierenden Ärzte) und damit weit vom Wohnort des betroffenen Arbeitnehmers entfernt sitzt. Dieser Schutzmechanismus könnte aber wegfallen, wenn dem Arbeitgeber in Zukunft regelmäßig keine AU-Bescheinigung mehr vorgelegt wird, sondern er sich lediglich bei der Krankenkasse auf Abruf elektronisch über Beginn und Dauer der Arbeitsunfähigkeit seines gesetzlich versicherten Arbeitnehmers sowie über den Zeitpunkt des Auslaufens der Entgeltfortzahlung informieren kann. Dem Geschäftsmodell von AU-Schein dürfte die fortschreitende Anonymisierung insoweit entgegenkommen, senkt sie doch möglicherweise die Hemmschwelle bei einigen Arbeitnehmern, diesen „Service" auszuprobieren.

IV. Fazit und Ausblick

 Die Einführung der elektronischen AU-Bescheinigung und das damit eingeläutete Ende des „gelben Scheins" ist zu begrüßen. Die Reduzierung des Bürokratieaufwands ist gerade für den Mittelstand von großer Bedeutung. Auch die Vermeidung von unnötigen arbeitsrechtlichen Streitigkeiten rund um das Thema AU-Bescheinigung kann Zeit und Ressourcen sparen. Die weitergehende Anonymisierung eröffnet möglicherweise aber auch Missbrauchsmöglichkeiten, gerade im Bereich der Online-Krankschreibung. Große Fragezeichen bestehen dort schon mit Blick auf die arbeitsrechtliche und medizinrechtliche Zulässigkeit. Eine abschließende Beurteilung lässt sich aber erst dann treffen, wenn die Ausgestaltung des Übermittlungsverfahrens im Einzelnen bekannt ist. Wir werden Sie insoweit auf dem Laufenden halten.