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Annahme eines Betriebsübergangs (§ 613a BGB) auch bei wirksamer Kündigung im Veräußererunternehmen

betriebsuebergang

Führt ein neuer Rechtsträger eine bestehende wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fort, liegt ein Betriebs(teil)übergang im Sinne von § 613a BGB mit der Folge vor, dass selbst dann, wenn das Arbeitsverhältnis im Zuge des Betriebs(teil)übergangs kurzzeitig unterbrochen war, eine Anrechnung der beim Veräußererunternehmen verbrachten Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers möglich ist. Dies hat das LAG Berlin-Brandenburg (5. März 2020 – 21 Sa 1684/19) jüngst ausdrücklich für den Fall entschieden, in dem das Arbeitsverhältnis einer Arbeitnehmerin wirksam gekündigt wurde und ein neuer Arbeitsvertrag mit dem Erwerber wenige Tage danach geschlossen wurde. Diese Rechtsprechung befindet sich im Einklang mit den höchstrichterlichen Entscheidungen aus Erfurt, aber unterstreicht noch einmal deutlich, welche Risiken auch bei vermeintlich beendeten Arbeitsverhältnissen auf Seiten des Erwerbers entstehen können.

I. Sachverhalt

Die Klägerin war seit dem 1. April 2015 bei der sr-c. GmbH als Verkäuferin in einem Ladengeschäft beschäftigt. Hauptmieterin des Ladengeschäfts und Eigentümerin der Ladeneinrichtung sowie des gesamten dort befindlichen Warenbestands ist die Firma C. Diese vertreibt unter ihrem Markenlogo über sogenannte Geschäftsbesorgerinnen nach einem einheitlichen Warenpräsentationskonzept Küchenartikel und –gerätschaften verschiedener Markenhersteller. Eine dieser Geschäftsbesorgerinnen war bis zum Jahreswechsel 2017/2018 die sr-c. GmbH, die neben der Klägerin noch zwei weitere Arbeitnehmerinnen in Ladengeschäft beschäftigte. Aufgrund der Beendigung des Vertragsverhältnisses mit der Firma C kündigte die sr-c. GmbH die mit der Klägerin sowie den beiden anderen Beschäftigten bestehenden Arbeitsverhältnisse mit Wirkung zum Ablauf des 31. Dezember 2017. Gegen diese Kündigung wehrte sich die Klägerin nicht.

Mit Wirkung zum 1. Januar 2018 begründete der Beklagte einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit der Firma C und übernahm auf Provisionsbasis den Verkauf der in dem Ladengeschäft befindlichen Waren im eigenen Namen. Am 4. Januar 2018 schloss der Beklagte mit der Klägerin einen befristeten Arbeitsvertrag, auf dessen Grundlage die Klägerin fortan als Verkäuferin in demselben Ladengeschäft tätig wurde, in dem sie auch für die sr-c. GmbH gearbeitet hatte. Die ehemaligen Kolleginnen der Klägerin wurden vom Beklagten dagegen nicht übernommen. Neben besonderen Regelungen u.a. zum Abbau von Urlaubsansprüchen während der Kündigungsfrist enthielt der Arbeitsvertrag die Vereinbarung einer sechsmonatigen Probezeit mit zweiwöchiger Kündigungsfrist.

Mit Schreiben vom 30. Mai 2018 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 13. Juni 2018. Mit ihrer beim Arbeitsgericht Cottbus eingereichten Klage machte die Klägerin u. a. den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses geltend. Dabei vertrat die Klägerin die Auffassung, der Beklagte habe das Ladengeschäft von der sr-c. GmbH im Sinne eines Betriebsübergangs übernommen, weshalb ihre Beschäftigungszeit seit dem 1. April 2015 anzurechnen sei.

II. Entscheidungsinhalt

Dieser Auffassung sind sowohl das Arbeitsgericht Cottbus (Urteil vom 15. August 2019 – 6 Ca 590/18) als auch das LAG Berlin-Brandenburg in ihren Urteilen gefolgt. Das LAG Berlin-Brandenburg entschied, dass der Beklagte das Ladengeschäft im Einkaufszentrum zum 1. Januar 2018 im Wege eines Betriebs(teil)übergangs von der sr-c. GmbH übernommen habe und sich daher so behandeln lassen müsse, als habe das mit der sr-c. GmbH am 1. April 2015 begründete Arbeitsverhältnis mit der Klägerin unterbrochen weiterbestanden.

1. Betriebs(teil)übergang iSd § 613a BGB

Ein Betriebs(teil)übergang im Sinne von § 613a BGB sowie der Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG liege vor, wenn ein neuer Rechtsträger eine bestehende, auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Um eine solche Einheit handele es sich bei jeder hinreichend strukturierten und selbstständigen Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck. Bei der Prüfung, ob eine Identitätswahrung gegeben sei, müssten sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen im Wege einer Gesamtbewertung berücksichtigt werden. Weiterhin sei erforderlich, dass die für den Betrieb der wirtschaftlichen Einheit verantwortliche natürliche oder juristische Person, die in dieser Eigenschaft die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen wechselt, wobei der Begriff „durch Rechtsgeschäft" im Sinne des § 613a BGB weit auszulegen sei. So sei insbesondere nicht erforderlich, dass zwischen Veräußerer und Erwerber unmittelbar vertragliche Beziehungen bestehen; die Übertragung könne auch unter Einschaltung eines Dritten, etwa des Eigentümers oder Verpächters, erfolgen.

2. Kurzzeitige Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses auch bei Betriebsübergang unschädlich

In Anwendung dieser Grundsätze sei im streitgegenständlichen Fall von einem Betriebs(teil)übergang im Sinne des § 613a BGB auszugehen. Bei dem Ladengeschäft handele es sich um eine wirtschaftliche Einheit, die auch unter Wahrung ihrer Identität von dem Beklagten fortgeführt worden sei. Wie zuvor die sr-c. GmbH verkaufe nunmehr der Beklagte in demselben Ladengeschäft als Geschäftsbesorger für die Firma C Küchengegenstände und –geräte verschiedener Markenhersteller im eigenen Namen und mit eigenem Personal im Rahmen einer eigenen Arbeitsorganisation. In diesem Zusammenhang nutze er die ihm von der Firma C zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten einschließlich der Ladeneinrichtung, deren Warensortiment und Warenpräsentationskonzept sowie deren Markenzeichen (Logo). Der wirtschaftliche Erfolg des Beklagten beschränke sich nicht nur auf die Übernahme des Auftrags als solchen, sondern hänge unter anderem von dessen Auftreten nach außen und der Führung des Ladengeschäfts im Rahmen der ihm durch den Geschäftsbesorgungsvertrag eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten ab. Dies seien im Wesentlichen auch die Gründe dafür, dass das Ladengeschäft seine wirtschaftliche Identität gewahrt habe. Außerdem habe der Beklagte die Klägerin übernommen und damit dafür gesorgt, dass sich die polnischen Kundinnen und Kunden wie bisher nicht nur durch eine fachkundige, sondern auch eine sprachkundige Verkäuferin beraten lassen könnten.

Aufgrund dieses Betriebsteilübergangs müsse sich der Beklagte nun so behandeln lassen, als habe das mit der sr-c. GmbH am 1. April 2015 begründete Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ununterbrochen fortbestanden. Die kurzzeitige Unterbrechung vom 1. bis 3. Januar 2018 sei insoweit unschädlich. Da die rechtliche Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses im Verhältnis zu dem Veräußerer aufgrund eines hinreichend engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs des früheren mit dem neubegründeten Arbeitsverhältnis unschädlich wäre, gelte dies nach dem Schutzzweck von § 613a BGB und Art. 3 Abs. 1 der Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG auch gegenüber dem Erwerberunternehmen. Dieses müsse sich aufgrund des Betriebs(teils)übergangs so behandeln lassen, als bestünden die arbeitsrechtlichen Beziehungen zum Veräußererunternehmen unverändert weiter. In dem dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Fall bedeutete dies die Annahme einer Betriebszugehörigkeit der Klägerin seit dem 1. April 2015 mit der Folge, dass die Probezeitvereinbarung unwirksam war und das Arbeitsverhältnis gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB nur mit einer Frist von einem Monat zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden konnte. Daher hatte die Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Vergütung bis Ende Juli 2018. Im Weiteren stand ihr ein anteiliger Urlaubsanspruch zu, den der Beklagte aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Geld abzugelten hatte. 

III. Folgen für die Praxis

Das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg stellt im Wesentlichen eine konsequente Fortsetzung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Anrechnung von Beschäftigungszeiten im Zusammenhang mit einem Betriebs(teil)übergang bzw. der vorherigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Veräußerer dar. Zu der Frage, wann die Unterbrechung eines Arbeitsverhältnisses als „verhältnismäßig kurz" und somit unschädlich anzusehen ist, gibt es keine festen zeitlichen Grenzen. Das BAG hatte Unterbrechungen von sechs Wochen in zwei Entscheidungen für so erheblich gehalten, dass nur auf Grund besonderer Umstände noch von einem rechtlich "ununterbrochenen" Arbeitsverhältnis ausgegangen werden könne (vgl. BAG, Urt. v. 28. August 2008 – 2 AZR 101/07; Urt. v. 19. Juni 2007 – 2 AZR 94/06). Eine Unterbrechung von lediglich einigen Tagen, wie in dem vor dem LAG Berlin-Brandenburg verhandelten Fall, soll dagegen von vornherein unerheblich sein.

Mit dem Ziel, Umgehungen des in § 613a Abs. 4 BGB und Art. 4 Abs. 1 Betriebsübergangsrichtlinie verankerten Kündigungsverbots möglichst zu vermeiden, zieht die nationale sowie die europäische Rechtsprechung den Schutzumfang des § 613a BGB sehr weit und fingiert so –ohne nähere dogmatische Begründung – im Ergebnis den Fortbestand eines eigentlich beendeten Arbeitsverhältnisses. Was mit Blick auf kollusives Zusammenwirken von Veräußerer und Erwerber zu begrüßen ist, kann für denjenigen, der einen vermeintlich stillgelegten Betrieb fortführen bzw. neu aufbauen möchte, zu einem bösen Erwachen führen. Vor Aufnahme der Geschäftstätigkeit ist daher sehr genau zu prüfen, ob die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs erfüllt sind. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn auf den ersten Blick kein „klassischer" Erwerb vom früheren Betriebsinhaber erfolgt. Sofern der neue Betriebsinhaber – was die Regel ist – auf bereits eingearbeitete Teile der Belegschaft zurückgreifen möchte, sollte er sich vorab gründlich auch über den Status solcher Beschäftigte informieren, deren Arbeitsverhältnis vor dem Betriebsübergang aufgelöst wurden. Je nachdem, wie kurz oder lang die Unterbrechung zwischen früherem und neuem Arbeitsverhältnis ist, besteht das Risiko, dass gekündigte Arbeitnehmer einen Wiedereinstellungsanspruch geltend machen und der neue Betriebsinhaber am Ende eine zahlenmäßig größere Belegschaft hat, als ursprünglich geplant.

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