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Bundestag verabschiedet Gesetz zur Änderung des Nachweisgesetzes – was Unternehmen jetzt beachten müssen

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Während die HR-Praxis über Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung im Arbeitsrecht diskutiert, wird im politischen Berlin ein Gesetz verabschiedet, das für den Nachweis der wesentlichen Arbeitsbedingungen die gesetzliche Schriftform vorschreibt (BT-Drucks. 20/1636).

Entsprechende Nachweise müssen künftig also auf einem handschriftlich unterschriebenen Papierdokument an die Beschäftigten übergeben werden. Zugleich werden die Inhalte der Nachweispflichten in Umsetzung der EU-Arbeitsbedingungsrichtlinie ((EU) 2019/1152) erweitert, Fristen verkürzt und Verstöße als Ordnungswidrigkeit eingestuft. Um die ab dem 1. August 2022 geltenden Vorgaben zu erfüllen, kommt auf den HR-Bereich mithin eine Menge Arbeit zu. Wir geben einen Überblick und praktische Hilfestellungen für die Umsetzung.

I.

Hintergrund der Regelungen

Im Kern geht es um die Umsetzung der EU-Arbeitsbedingungsrichtlinie ((EU) 2019/1152), mit der auf europäischer Ebene ein einheitlicher Rahmen für mehr Transparenz am Arbeitsplatz durch die Information der Beschäftigten über die wesentlichen Arbeitsbedingungen geschaffen wurde.
Beschäftigte sollen etwa darüber informiert werden, welche Tarifverträge Anwendung finden, wie ihre Kündigungsfristen sind, und wie sich ihre Vergütung zusammensetzt. In Deutschland sind einige dieser Vorgaben bereits seit Längerem im Nachweisgesetz geregelt, das bisher aber keine ausdrücklichen Sanktionsmechanismen vorsah. Dies ändert sich nun.

II.

Erweiterung der Nachweispflichten

Durch die Änderung des Nachweisgesetzes werden die schriftlich niederzulegenden Vertragsbedingungen unter anderem um die folgenden Punkte ergänzt:
  • die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts, einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts. Diese sind jeweils getrennt mit ihrer jeweiligen Fälligkeit sowie der Art der Auszahlung anzugeben (bar bzw. bargeldlos),
  • die Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten,
  • bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und Voraussetzungen für Schichtänderungen,
  • im Falle von Arbeit auf Abruf die Zahl der mindestens zu vergütenden Stunden, die Frist innerhalb derer die Arbeit „abzurufen“ ist und der Zeitrahmen, der für die Erbringung der Arbeitsleistung festgelegt wird durch Benennung von Referenztagen und Referenzstunden,
  • Hinweis auf die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen (sofern vereinbart),
  • das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses von beiden Seiten einzuhaltende Verfahren: dabei mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage,
  • die Dauer der Probezeit (sofern vereinbart),
  • erweiterte Unterrichtungspflichten im Zusammenhang mit einem Auslandsaufenthalt in Entsendefällen
Viele der neuen Nachweispflichten werfen erhebliche rechtliche Unsicherheiten auf. Dies gilt insbesondere für das bei der Kündigung einzuhaltende Verfahren. Ob man insofern neben den Kündigungs- und Klagefristen zudem über weitere Aspekte, wie die Beteiligung des Betriebs- oder Personalrates oder denkbare Zustimmungserfordernisse im Falle von Sonderkündigungsschutz unterrichten muss, bleibt unklar. Ebenso ist ungeklärt, ob der Hinweis auf die gesetzlichen Vorgaben des § 623 BGB (Schriftform) oder § 4 KSchG (Klagefrist) ausreichend ist oder ob weitere Angaben gefordert werden. Im ersten Schritt erscheint es für Unternehmen sinnvoll, sich auf die Mindestinformationen zu beschränken. Eine darüber hinausgehende Nachweispflicht dürfte in einer Vielzahl von Fällen kaum leistbar und sehr fehleranfällig sein.

III.

Zeitlicher Rahmen und Formerfordernis

Bei ab dem 1. August 2022 neu begründeten Arbeitsverhältnissen muss über bestimmte zentrale Aspekte bereits am ersten Tag der Arbeitsleistung (nicht des Vertragsschlusses) informiert werden. Hierzu gehören Name und Anschrift der Parteien, Höhe des Arbeitsentgelts sowie vereinbarte Arbeitszeit. Für die übrigen nachzuweisenden Informationen sind gestaffelte Fristen vom siebten Kalendertag bis zu einem Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses vorgesehen. Aus praktischer Sicht sollten diese Pflichten einheitlich am ersten Tag der Arbeitsleistung oder bereits bei Vertragsschluss erfüllt werden.
Für vor dem 1. August 2022 bereits bestehende Arbeitsverhältnisse sind die entsprechenden Nachweise erst nach Aufforderung durch einzelne Beschäftigte am siebten Tag nach Zugang der Aufforderung bzw. nach einem Monat auszuhändigen.
Änderungen der wesentlichen Vertragsbedingungen sind an dem Tag mitzuteilen, an dem die Änderung wirksam wird. Dies gilt nicht, wenn sie auf einer Änderung der gesetzlichen Vorschriften, Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen beruhen (§ 3 NachwG-nF).
Politisch für erhebliche Diskussionen gesorgt hat das Erfordernis der Schriftform (vgl. BT-Drucks. 20/2392. S. 9). Schriftform in diesem Zusammenhang setzt eine eigenhändige Unterschrift auf einem (Papier-) Dokument voraus. Verträge müssen beide Parteien auf derselben Urkunde unterzeichnen (§ 126 BGB). Zwar sieht die europäische Richtlinie eine elektronische Übermittlung der Nachweise an die Beschäftigten als ausreichend an (vgl. Art. 3 Richtlinie (EU) 2019/1152), der nationale Gesetzgeber hält weiterhin an der Schriftform fest. Damit müssen die Informationspflichten aus dem Nachweisgesetz – nicht zwingend die Arbeitsverträge selbst – schriftlich ausgefertigt, unterschrieben und dem Beschäftigten ausgedruckt übergeben werden.

IV.

Verweis auf Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen

Bestimmte Angaben (z. B. die Zusammensetzung des Arbeitsentgelts, die vereinbarte Arbeitszeit oder Anordnung von Überstunden) können durch einen Hinweis auf die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen ersetzt werden (§ 2 Abs. 4 NachwG-nF). Ob bereits eine pauschale Bezugnahme den Nachweisanforderungen genügt oder ein konkreter Hinweis auf die Regelungsgegenstände erfolgen muss, lässt die Neufassung offen. Aus Gründen der Rechtssicherheit erscheint eine genaue Bezugnahme empfehlenswert.

Praxishinweis:

Das NachwG gilt auch für den Bereich des öffentlichen Dienstes, in dem schriftliche Arbeitsverträge aufgrund der Tarifbindung an TVöD bzw. TV-L häufig sehr kurz sind. Insbesondere in diesem Bereich besteht möglicher Anpassungsbedarf hinsichtlich pauschaler Bezugnahmeklauseln.

V.

Sanktionen und Rechtsfolgen von Verstößen

Verstöße gegen das NachwG stellen in Zukunft Ordnungswidrigkeiten dar, die mit einem Bußgeld von bis zu EUR 2.000 geahndet werden können. Dies gilt für den Fall, dass Unternehmen die Niederschrift mit den wesentlichen Vertragsbedingungen nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig aushändigen.
Darüber hinaus sind keine Rechtsfolgen einer Verletzung der Nachweispflicht im Gesetz festgelegt. Klargestellt wird insbesondere, dass die Wirksamkeitsfiktion der Kündigung (§ 7 KSchG) bei nicht rechtzeitiger Kündigungsschutzklage auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage anzuwenden ist (§ 2 Nr. 14 NachwG-nF). Unklar ist, ob im Fall eines fehlerhaften Nachweises in diesem Bereich möglicherweise ein Anspruch auf Schadensersatz gegen den Arbeitgeber bestehen kann oder eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage möglich ist. Ebenfalls unklar ist, ob trotz fehlerhafter oder unvollständiger Nachweispflichten die jeweiligen Ansprüche von vertraglichen oder tariflichen Ausschlussfristen erfasst werden.

VI.

Praxistipps für Unternehmen

Im Ausgangspunkt muss man sich vergegenwärtigen, dass das Nachweisgesetz nicht die Erbringung der Nachweise durch den Arbeitsvertrag selbst verlangt. Anders als der Arbeitsvertrag ist der Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen auch eine reine Wissenserklärung des Unternehmens und kann folglich jederzeit einseitig geändert werden. Davon ausgehend ist Folgendes für die Praxis zu empfehlen:
  • In keinem Fall sollten alle Nachweispflichten im Arbeitsvertrag erfüllt werden. Insbesondere detaillierte Hinweise zu Kündigungsverfahren werden Arbeitsverträge nicht nur überfrachten, sondern sind auch personalpolitisch wenig sinnvoll.
  • Es sollte folglich in jedem Einzelfall geprüft werden, welche der Nachweispflichten im Arbeitsvertrag erfüllt werden und welche in einer separaten Anlage zu diesem Vertrag.
  • Werden Arbeitsverträge bislang elektronisch signiert, kann mit ihnen keine Nachweispflicht erfüllt werden. In diesem Fall müssten alle Nachweispflichten zusätzlich in einem der gesetzlichen Schriftform genügenden Dokument erfüllt werden. Dieses kann dann am ersten Tag der Arbeitsleistung übergeben werden.
  • Von der Möglichkeit des Verweises auf Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen ist möglichst umfassend Gebrauch zu machen. Die Verweise sollten indes möglichst konkret sein.
  • Auch im Rahmen bestehender Arbeitsverhältnisse können Anforderungen nach dem Nachweisgesetz ab dem 1. August 2022 geltend gemacht werden. Aus diesem Grund sollte ein Template erstellt werden, um mögliche Anfragen zeitnah und reibungslos für bestehende Arbeitsverhältnisse erfüllen zu können.
Wir danken unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Frau Sandra Latzko für die Mitwirkung an diesem Artikel.

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