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Gestärkte Verteidigungsmöglichkeiten für Unternehmen im Kündigungsschutzprozess

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Regelmäßig erheben Beschäftigte Kündigungsschutzklage, sobald sie eine Kündigung erhalten haben. Sofern Unternehmen nach einem Rechtsstreit, der sich teils über viele Monat erstreckt, das Verfahren verlieren, weil sich die Kündigung als rechtswidrig erweist, müssen sie die ausstehende Vergütung samt Verzugszinsen nachzahlen.
Denn Unternehmen haben nach Ende der Kündigungsfrist die Gehaltszahlungen (rechtswidrig) eingestellt. Der Einwand, die oder der Beschäftigte habe nicht gearbeitet, verfängt hierbei nicht, da sich Unternehmen im Annahmeverzug befinden. Zudem sind die betroffenen Beschäftigten nicht verpflichtet, die nicht erbrachte Leistung „nachzuarbeiten“. Um dieses Risiko zu begrenzen waren Unternehmen in der Vergangenheit häufig bereit hohe Abfindung zu zahlen und so einer gerichtlichen Entscheidung zur Rechtmäßigkeit der Kündigung zu entgehen.

I.

Scharfes Schwert des § 615 Satz 2 BGB

Aufgrund neuerer gerichtlicher Entscheidungen rückt nun aber § 615 Satz 2 BGB zunehmend in den Fokus. Hiernach müssen sich Beschäftigte während des Annahmeverzuges des Unternehmens dasjenige anrechnen lassen, was sie infolge des Unterbleibens der Dienstleistung ersparen oder durch anderweitige Verwendung ihrer Dienste erwerben oder zu erwerben böswillig unterlassen.
Die Anrechnung ersparter Aufwendungen spielt regelmäßig allenfalls eine untergeordnete Rolle. Sofern Beschäftige Fahrtkosten sparen, kann dies zwar angerechnet werden, wirtschaftlich ist dies allerdings zu vernachlässigen. Finanziell interessanter ist hingegen die Anrechnung tatsächlich gezogenen anderweitigen Verdienstes. Bislang ein Schattendasein hat indes das böswillige Unterlassen anderweitiger Verdienstmöglichkeiten gespielt. Für Unternehmen war es bis dato schwierig bis unmöglich, zu beweisen, dass die oder der Betroffene bei einem anderen Unternehmen eingestellt worden wäre, diese Tätigkeit jedoch böswillig unterlassen hat.

II.

Auskunftspflicht der Beschäftigten

Zunächst stärkte das BAG mit Urteil vom 27. Mai 2020 (5 AZR 387/19) die Rechtsposition der Unternehmen, indem es ihnen einen Auskunftsanspruch zuerkannte.
So können Unternehmen von den Gekündigten Auskunft verlangen, ob Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit oder des Jobcenters gemacht wurden. Schließlich sind Gekündigte verpflichtet, sich arbeitssuchend zu melden. Sie müssen sodann detailliert darüber Auskunft geben, welche Jobs ihnen vorgeschlagen wurden. Hierbei müssen sie auch die jeweilige Tätigkeit, die Arbeitszeit, den Arbeitsort und die Vergütung nennen. Arbeitgeber können sodann anhand der mitgeteilten Informationen prüfen, ob Beschäftigte es böswillig unterlassen haben, Vermittlungsvorschläge wahrzunehmen.
Interessanterweise werden Beschäftigte durch das BAG nun sogar zur aktiven Mitarbeit an der Vermeidung oder Beendigung der Arbeitslosigkeit angehalten. Dies sah das BAG mit Urteil vom 16. Mai 2000 (9 AZR 203/99) noch anders. Das BAG argumentiert nun überzeugend damit, dass Beschäftigten auch arbeitsrechtlich dasjenige zugemutet werden kann, was das Sozialrecht ohnehin von ihnen verlangt. Folglich müssen sich Beschäftigte arbeitssuchend melden und die Vermittlungsleistungen der Behörden tatsächlich in Anspruch nehmen. Andernfalls sehen sie sich dem Vorwurf böswilligen Unterlassens ausgesetzt.

Handlungsempfehlung:

Das BAG stellt ausdrücklich heraus, dass Unternehmen sich in dieser Situation sogar als Arbeitsvermittler betätigen und die Beschäftigten so in Zugzwang setzen können. Sie können Beschäftigten eine Vielzahl von geeigneten Stellenausschreibungen übersenden (Urteil vom 16. Mai 2000 – 9 AZR 203/99). Sollten sich die Beschäftigten „totstellen“, also sich nicht oder nicht ordnungsgemäß auf die Stellenausschreibungen bewerben, sind sie dem Vorwurf des böswillig unterlassenen Zwischenverdienstes ausgesetzt. Ihre Annahmeverzugslohnansprüche werden in der Folge um den Verdienst, den sie hypothetisch erlangt hätten, gekürzt.

III.

Sogar Obliegenheit eigeninitiativer Bewerbungen

Die beschriebene Rechtsprechung des BAG wird durch die Instanzgerichte zunehmend ausdifferenziert.
So ging es in einem Fall vor dem LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 30. September 2022 – 6 Sa 280/22) um die Frage, welchen Anforderungen die Gekündigten konkret unterliegen, um sich nicht böswilligen Unterlassens schuldhaft zu machen. Im zugrundeliegenden Fall hatte der zu Unrecht gekündigte Kläger während des Kündigungsrechtsstreits 23 Vermittlungsvorschläge des Jobcenters erhalten. Weiter hatte er während eines Zeitraums von 29 Monaten 103 Bewerbungen eigeninitiativ über die Online-Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit versandt.
Entsprechend der Rechtsprechung des BAG bejahte das LAG zunächst einen Auskunftsanspruch des beklagten Arbeitgebers. Anhand der mitgeteilten Information musste der Arbeitgeber sodann Indizien für die Zumutbarkeit der Arbeit und für ein mögliches böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbes vortragen. Anschließend hatte der Arbeitnehmer die Möglichkeit, diesen Indizien entgegenzutreten, indem er plausibel erläuterte, warum es nicht zu einem Vertragsschluss gekommen sei oder die Stellenangebote nicht zumutbar waren.
Das LAG stellt in der Folge strenge Anforderungen an die Bewerbungsbemühungen des Betroffenen. Das Gericht erkennt im Ergebnis böswilliges Unterlassen von Bewerbungsbemühungen an und kürzt den Annahmeverzugslohnanspruch des Klägers. Denn der Kläger habe sich lediglich auf drei der 23 unterbreiteten Vermittlungsvorschläge beworben. Zudem entsprächen die Bewerbungen des Klägers nicht einem sorgfältig geführten Bewerbungsprozess. Er sei telefonisch für die potenziellen Arbeitgeber nicht erreichbar gewesen, habe sich auf Antwortmails nicht zurückgemeldet, habe bei fehlenden Rückmeldungen nicht nachgefragt und die Anschreiben wiesen Tippfehler auf. Auch habe er insgesamt zu wenig eigene Bewerbungsbemühungen entfaltet, seine 103 Bewerbungen in 29 Monaten entsprächen nicht einmal einer Bewerbung pro Woche, obwohl er im fraglichen Zeitraum ohne Arbeit war und im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle Bewerbungsbemühungen hätte entfalten „können und müssen“. Mithin seien sämtliche Vergütungsbestandteile auf null zu reduzieren.
Die Rechtsprechung des LAG statuiert hohe Anforderungen an (zu Unrecht) Gekündigte. Insbesondere die Obliegenheit, sich in Vollzeit zu bewerben, ist sehr weitgehend. Fraglich bleibt, ob das BAG die Hürden ähnlich hoch hängen wird. Unklar ist weiter, wie viele Bewerbungen denn geschrieben werden müssen.

IV.

Abschließende Handlungsempfehlungen

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Rechtsprechung lassen sich einige Handlungsempfehlungen für Unternehmen im Kündigungsschutzprozess aussprechen, um Annahmeverzugslohnansprüchen zu begegnen.
  • Unternehmen sollten den betroffenen möglichst zeitnah ein Arbeitszeugnis zukommen lassen, da so die Bewerbungsbemühungen unterstützt werden können.
  • Weiterhin können und sollten sich Unternehmen als Arbeitsvermittler betätigen. In den im Internet frei zugänglichen Jobportalen lassen sich schnell eine Vielzahl geeigneter Stellenangebote ausfindig machen. Diese sollten den Gekündigten zeitnah zugestellt werden.
  • Unternehmen sollten zudem umfassend und wiederholt von ihren Auskunftsansprüchen Gebrauch machen. Dies betrifft insbesondere die Arbeitssuchendmeldung, Vermittlungsangebote des Jobcenters und eigene Bewerbungsbemühungen. Die übermittelten Bewerbungen sind sodann sorgfältig auf etwaige (Tipp-)Fehler hin zu untersuchen, da fehlerhafte Bewerbungen ebenfalls den Vorwurf böswilligen Unterlassens auslösen können.
Sofern Unternehmen sich während des Kündigungsschutzprozesses geschickt verhalten und die (jeweils aktuellen) Vorgaben der Rechtsprechung genau beachten, lassen sich Annahmeverzugslohnansprüche wirksam bekämpfen.

Gerne unterstützen wir Sie in diesem Zusammenhang bei der Abwehr von Annahmeverzugslohnansprüchen. Weitergehende Informationen, die wir anderer Stelle veröffentlicht haben, finden Sie ebenso hier:

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