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Nicht nur eine Modeerscheinung – weshalb Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung im Arbeitsrecht immer wichtiger werden

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Environmental Social Governance (ESG) oder Corporate Social Responsibility (CSR) waren lange Zeit keine Themen, die man mit dem Arbeitsrecht in Verbindung gebracht hätte. Aber die Zeiten ändern sich: Wenn Personalabteilungen sich nicht mehr nur als Verwalter von „humanen Ressourcen“ ansehen, sondern Titel wie People Operations oder People & Culture tragen, ist dies mehr als eine sprachliche Feinheit. Unternehmen haben erkannt, dass Menschen mit individuellen Erfahrungen und Persönlichkeiten sowie deren Umwelt im Fokus stehen. Insoweit überrascht es nicht, wenn sich mittlerweile weltweit über 19.000 Unternehmen dem United Nations Global Compact angeschlossen haben, der die Vision einer inklusiveren und nachhaltigen Wirtschaft verfolgt.

Blogserie: Nachhaltigkeit

Wer bei Nachhaltigkeit zuerst an Bio-Lebensmittel, Fahrrad statt Auto und recyclebare Verpackungen denkt, liegt sicher nicht falsch – inzwischen umfasst das Thema allerdings noch viele Bereiche mehr. Auch im Human Resources Management spielt der Begriff eine immer größere Rolle.

Autoren dieses Beitrags

Die enorme Bedeutung bestätigt eine Umfrage aus dem Jahr 2021 „Werte im Wandel: Recruiting im New Normal” im Auftrag von Xing E-Recruiting, Kununu und Prescre: Für drei Viertel der Befragten (74 Prozent) gehören ein positives Unternehmensimage zu den ausschlaggebenden Kriterien für eine Bewerbung. Rund jede*r Zweite (52 Prozent) sagt, dass Arbeitgeber ohne transparente Unternehmenskultur für ihn bzw. sie nicht infrage kommen. ESG bildet dabei aber nicht nur einen Wettbewerbsvorteil, es kommen auch immer mehr rechtliche Vorgaben hinzu.
Mit unserer neuen Blogreihe möchten wir aus arbeitsrechtlicher Sicht einen Überblick über die Vorgaben und möglichen Regelungsbereiche für eine nachhaltige und verantwortungsvolle Unternehmensführung geben.

I.

Die Corporate Social Responsibility Directive und der Deutsche Corporate Governance Kodex

Maßgeblicher rechtlicher Input kommt auch in diesem Bereich zunehmend aus Europa: Mit der voraussichtlich im dritten Quartal 2022 in Kraft tretenden Corporate Social Responsibility Directive schafft der europäische Gesetzgeber umfangreiche Berichtspflichten für Unternehmen ab einer bestimmten Größe.
Gegenstand der Berichtspflichten sollen etwa die Arbeitsbedingungen, die Wahrung von Geschlechtergerechtigkeit und Lohngleichheit, Inklusion, Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben und die Schaffung eines gesunden und sicheren Arbeitsumfelds sein. Mehr zur Corporate Social Responsibility Directive, ihrem Anwendungsbereich und den genauen Inhalten erfahren Sie in unserem nächsten Blogbeitrag. Fest steht: Unternehmen müssen für das Berichtsjahr 2023 ihre CSR-Reporting-Prozesse anpassen.
Auch der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) in seiner Fassung vom 22. April 2022 rückt das Thema Nachhaltigkeit in den Fokus. So sieht Artikel 1 DCGK vor, dass der Vorstand die mit den Sozial- und Umweltfaktoren verbundenen Risiken und Chancen für das Unternehmen sowie die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit systematisch identifizieren und bewerten soll. Weiterhin soll das Risikomanagementsystem nachhaltigkeitsbezogene Ziele abdecken. Auch die Kontrollaufgaben des Aufsichtsrates sollen sich insbesondere auf Nachhaltigkeitsfragen beziehen. All dies unterstreicht, dass ESG in der Unternehmenswirklichkeit angekommen ist und eine wichtige Rolle spielt.

II.

ESG goes HR – Vorteile für Unternehmen und Belegschaft

Umweltschutz, transparente Lieferketten und faire Arbeitsbedingungen rücken immer stärker in den Fokus wirtschaftlichen Handels und werden zwangsläufig Baustein der Anwerbung und Beschäftigung von qualifiziertem Personal. So schillernd Begriffe wie ESG, CSR, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung klingen, umso wichtiger ist es, diese auch wirklich nachhaltig zu besetzen, um sich nicht dem Vorwurf des sog. Greenwashing ausgesetzt zu sehen. Die nachstehenden Aspekte sollen einen kurzen Überblick über mögliche Regelungsbereiche geben und unterstreichen zugleich, dass ESG ein Thema für Unternehmen jeder Größe ist:

1. Festlegung von Verantwortlichkeiten und Schaffung von Strukturen

Um den notwendigen Handlungsbedarf, der sich aus den regulatorischen Vorgaben ergibt, eruieren, mögliche Maßnahmen für die Zukunft erarbeiten und deren Umsetzung monitoren zu können, ist die Festlegung von entsprechenden Verantwortlichkeiten und die Schaffung von (Compliance-)Strukturen unerlässlich. Schließlich geht es nicht nur um die Einhaltung regulatorischer Mindeststandards, sondern den Aufbau eines nachhaltigen und sozial verantwortlichen Wertekonzepts. Um ein solches Konzept „top down“ im gesamten Unternehmen zu implementieren und mit Leben zu füllen, gehören hierzu auch Weiter- und Fortbildungsangebote sowie Führungskräfteschulungen. Im Hinblick auf die Einhaltung entsprechender Maßnahmen spielen überdies – nicht zuletzt aufgrund des Hinweisgeberschutzgesetzes – Whistleblowerverfahren eine immer wichtigere Rolle.

2. Nachhaltige Gestaltung der Vergütung

Gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit und die Beseitigung des Gender-Pay-Gap bildet eines der Fokusthemen. Zugleich existieren in diesem Bereich eine Reihe an Vorgaben. So hat der Gesetzgeber mit dem Entgelttransparenzgesetz bereits versucht, gegenzusteuern und das Bundesarbeitsgericht vermutet für den Fall des geringeren Vergleichsentgelts eine Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts (BAG, Urteil vom 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19). Bei Banken und anderen Finanzinstituten schreibt § 5 Abs. 1 Nr. 6 der Institutsvergütungsordnung vor, dass „Vergütungssysteme angemessen ausgestaltet [sind], wenn sie geschlechtsneutral sind, so dass eine Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts ausgeschlossen ist.“

3. Diversity-Konzepte

Ungeachtet des Gender-Pay-Gap sind die Geschlechter auch insbesondere in Leitungsebenen von Unternehmen nach wie vor sehr unausgewogen repräsentiert. Dabei ist die Vielfalt unterschiedlicher Geschlechter, aber auch unterschiedlicher Altersstufen, kultureller Hintergründe, Weltanschauungen, sexueller Orientierung etc. nicht nur rechtlich geboten, sondern auch ein Schlüssel für Innovation und Erfolg. Diversity-Konzepte als Teil des Personalmanagements helfen dabei, den Ist-Zustand zu ermitteln, Ziele festzulegen und passgenaue Maßnahmen für eine Steigerung der Diversität zu erarbeiten.

4. Variable Vergütung und sonstige Arbeitgeberleistungen

Für die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen – etwa die Reduzierung der eigenen CO2-Emissionen – kann die variable Vergütung ein Bemessungsfaktor sein. Hierbei sollte aber stets darauf geachtet werden, dass nachvollziehbare und auch realistisch erreichbare Ziele vereinbart werden. Zugleich können Beschäftigte aktiv Einfluss auf CO2-Emissionen des Unternehmens nehmen – bspw. im Rahmen von Richtlinien zur Klimatisierung der Büroräume, Elektrifizierung der Dienstwagenflotte oder Angeboten von Fahrradleasing. Auch Anpassungen der Reiserichtlinien, etwa durch Reduzierung oder Kompensierung von Flugreisen, können einen Baustein bilden.

5. Insbesondere: Mobilitätsbudget

Das Mobilitätsbudget ist ein monatlicher Zuschuss, den Unternehmen gewähren können, um Mobilitätskosten abzudecken. Dadurch sollen Verkehrsmittel wie Carsharing, Scooter oder öffentliche Verkehrsmittel genutzt und eine Alternative zum Dienstwagen geschaffen werden. Zahlreiche Dienstleiter und Plattformen bieten zwischenzeitlich die Abwicklung solcher Budgets an und sorgen für eine ordnungsgemäße Abrechnung. Die arbeitsrechtliche Einführung des Mobilitätsbudgets kann etwa durch eine Betriebsvereinbarung erfolgen, in der die maßgeblichen Rahmenbedingungen festgelegt werden. Sofern die Abwicklung über einen externen Dienstleister erfolgt, sind datenschutzrechtliche Vorgaben zu beachten. Insbesondere wird ein Vertrag über die Auftragsdatenverarbeitung abzuschließen sein.

6. Soziale Verantwortung für die Belegschaft

Die Flexibilisierung der Arbeitszeit, Home Office und mobile Arbeit bilden ebenso wie hohe Standards bei Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz und Datenschutz einen wesentlichen Baustein. Unternehmen sehen sich hier vielfach bereits mit einem Kanon an rechtlichen Vorgaben konfrontiert, deren Umsetzung sie sicherstellen müssen und zugleich intern kommunizieren sollten. Insbesondere in Zeiten des herrschenden Fachkräftemangels sind Unternehmen aber gut beraten, auch hier über die bloße Umsetzung regulatorischer Vorgaben hinauszudenken. So unterstreichen etwa auch die Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements und Programme zur Förderung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung die soziale Verantwortung von Unternehmen.

7. Compliance und Code of Conduct/Code of Ethics

Mit Codes of Conduct/Codes of Ethics können Unternehmen einen unternehmensinternen Verhaltens- und Ethikkodex definieren. Dieser bildet eine wesentliche Compliance-Maßnahme und regelt Leitlinien für rechtlich und ethisch korrektes Verhalten der Beschäftigten. Zugleich kann durch eine Dokumentation allgemeiner Vorgaben dem Vorwurf eines Organisationsverschuldens entgegengewirkt werden. Arbeitsrechtlich ist sicherzustellen, dass die Regelungen dynamisch gelten und zukünftige Änderungen und Ergänzungen erfasst werden. Unternehmen sollten bei Regelungsinhalten zudem beachten, dass die Privatsphäre der Beschäftigten nicht verletzt wird. Zugleich sind Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates zu beachten. Für die Praxis eine der größten Herausforderungen dürfte es zudem sein, dass die Vorgaben des Code of Conduct/Code of Ethics im Unternehmen wirklich umgesetzt und „gelebt“ werden.

III.

Fazit und Ausblick

Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung – die Anforderungen an Unternehmen sind hoch. Das Arbeitsrecht bietet eine Fülle an potentiellen Stellschrauben, um nicht nur rechtliche Anforderungen zu erfüllen, sondern auch die Attraktivität der eigenen Arbeitgebermarke zu fördern. Personalabteilungen können auf diese Weise mit dem richtigen Handwerkszeug nicht nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verwalten, sondern die Kultur des Unternehmens mitgestalten. Daneben zeigt die Praxis, dass entsprechend geführte Unternehmen nicht nur erfolgreicher am Markt auftreten, sondern eine solche Führung zunehmend zur notwendigen Voraussetzung gemacht wird für die Aufnahme und den Unterhalt von Geschäftsbeziehungen.
Folgen Sie uns weiter bei unserer Blogreihe und erhalten Sie spannende Einblicke und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten!

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